Der Begriff „formatives Assessment“ kommt ursprünglich aus dem angloamerikanischen Raum und ist mittlerweile auch hierzulande in aller Munde, wenn es um zeitgemäßen Unterricht geht. Formatives Assessment gilt als Schlüssel für den erfolgreichen Lernprozess. Doch was genau ist damit eigentlich gemeint? „Assessment“ bedeutet eine Bestandsaufnahme oder Befragung, „formativ“ bedeutet, wörtlich übersetzt: gestaltend oder prägend. Das formative Assessment ist also ein Diagnoseverfahren mit dem Zweck, die Schülerinnen und Schüler während des Lernprozesses gezielt fördern zu können.
Der Unterschied zwischen „formativen“ und „summativen Assessments“
Damit unterscheidet sich das formative Assessment fundamental vom sogenannten summativen Assessment. Das summative Assessment findet immer am Ende einer Lerneinheit statt, mit dem Ziel, die Leistung der Schülerinnen und Schüler abschließend zu bewerten, mit einer Note oder mit einem Zertifikat zu versehen. Das kann die Klassenarbeit sein, eine Klausur, eine Präsentation oder eine Abschlussprüfung. Aber auch die großen Leistungsvergleichsuntersuchungen wie PISA, TIMSS, IGLU oder der IQB-Bildungstrend sind summative Testverfahren, die der Bewertung dienen, allerdings hier nicht des einzelnen Schülers oder der einzelnen Schülerin, sondern des Bildungssystems eines Landes oder eines Staats.
Für die gezielte Förderung ist das summative Assessment schon allein wegen des Zeitpunkts ungeeignet, denn die Lerneinheit bzw. der Bildungsgang ist per Definition abgeschlossen. Selbst wenn dadurch Defizite sichtbar geworden sind, besteht in der Regel keine Möglichkeit mehr, diese im Unterricht noch aufzuarbeiten, da ein neuer Bildungsabschnitt bzw. ein neues Stoffgebiet beginnt.
Ganz anders sieht das beim formativen Assessment aus, das als lernförderliches Feedback nicht am Ende, sondern während des Lernprozesses stattfindet. Die Lehrkraft findet mithilfe formativer Testverfahren heraus, wo die gesamte Klasse steht, wer im Einzelnen noch Unterstützung benötigt, wo möglicherweise eine andere Methode hilfreich wäre oder wer unterfordert ist und sich langweilt. Formatives Feedback gehört zum Schulalltag einer jeden Lehrkraft. Das beginnt schon mit einem Blick über die Schulter des Kindes beim Bearbeiten einer Aufgabe oder auch mit einer schnellen Verständnisabfrage in die ganze Klasse und reicht bis zum ausführlichen individuellen Feedbackgespräch.
Die dafür geeigneten Methoden sind vielfältig. Auch künstliche Intelligenz (KI) wird zunehmend für das formative Assessment genutzt. Bildungsforscher Olaf Köller erklärt im Interview, wie das geht. Künftig könnte KI sogar beim summativen Assessment, also bei der Bewertung, helfen.
Auch Lernstandserhebungen wie VERA oder KERMIT sind unter anderem mit dem Ziel des formativen Assessments entwickelt worden.
Drei Gütekriterien für das Testen von Lernleistungen
Geht es im engeren Sinne um ein Testverfahren, dann gelten für formative und summative Assessments gleichermaßen folgende drei Gütekriterien: Sie müssen valide, objektiv und reliabel sein. Validität bedeutet, dass in den gewählten Aufgabenformaten tatsächlich das getestet wird, was gemessen werden soll. Als objektiv gilt ein Test, wenn er unabhängig von der Person ist, die ihn durchführt, und nach festgelegten Regeln ausgewertet wird. Gleichzeitig sollten alle Schülerinnen und Schüler die Tests unter gleichen Bedingungen bearbeiten. Die Objektivität ist somit Voraussetzung für die Reliabilität. Das heißt: Wenn der Test mit denselben Aufgaben und Personen wiederholt würde, sollte er auch zu denselben Ergebnissen kommen.
In der Schulpraxis gehen summative und formative Assessments häufig durcheinander, das heißt, Tests zum Zweck der Bewertung und mit dem Ziel einer Lerndiagnose mit anschließender Förderung werden nicht klar voneinander getrennt. Im Sinne einer produktiven Fehlerkultur sollten formative Assessments und summative Verfahren zum Zweck der Notenvergabe jedoch möglichst nicht vermischt werden. Fehler in formativen Testverfahren dienen der Information und sollten nicht Anlass für eine schlechte Bewertung sein. Mit zunehmender Heterogenität der Klassen gewinnt auch das formative Assessment an Bedeutung, weil eine zielgenaue individuelle Förderung nur auf Grundlage klarer Informationen zum jeweiligen Leistungsstand möglich ist.
Iterative Längsschnittverfahren zeigen die Lernentwicklung
Um die Lernentwicklungen zu erfassen, rückt beim formativen Assessment verstärkt das sogenannte iterative Verfahren ins Blickfeld der Pädagogik. Bei diesem Längsschnittverfahren wird eine Entwicklung im Zeitverlauf sichtbar, während in einem Querschnittverfahren nur eine Aussage für den jeweiligen Zeitpunkt möglich ist.
Die iterative Bestandsaufnahme – ein Prozess mehrfachen Wiederholens gleicher oder ähnlicher Handlungen zur Annäherung an ein bestimmtes Ziel – verfolgt die individuelle Lernentwicklung eines Schülers oder einer Schülerin über mehrere Testzeitpunkte, um auf diese Weise eine Lernverlaufskurve zu beschreiben. Dies versetzt eine Lehrkraft in die Lage, daraus Schlüsse für die individuelle Förderung und die Gestaltung des Unterrichts zu ziehen. Voraussetzung für diese Art der Verlaufsdiagnostik ist, dass zunächst der Ausgangspunkt der Schülerin oder des Schülers durch eine Bestandsaufnahme definiert wird. Nur so ist es für die Lehrkraft möglich, zu beurteilen, ob das Kind im Laufe des Unterrichts etwas dazugelernt hat, in seinem Lernverhalten stagniert oder sogar Kompetenzen abbaut.
Iterative Assessments sollten über einen langen Zeitraum erfolgen, möglichst über mehrere Schuljahre hinweg, wie es etwa bei der Lernstandserhebung KERMIT in Hamburg der Fall ist. Die Lehrkräfte erhalten dadurch nicht nur verlässliche Daten über die Lernentwicklung ihrer einzelnen Schülerinnen und Schüler. Auch die Bildungsverwaltung kann Entwicklungen analysieren und das Instrument zur Steuerung und Bedarfsplanung nutzen.
Auch bei summativen Assessments kann ein längsschnittliches Verfahren sehr sinnvoll sein. Das wird zum Beispiel beim IQB-Bildungstrend deutlich, der nach anfänglichen Schwierigkeiten nun in der Lage ist, Entwicklungen über einen längeren Zeitraum darzustellen und dabei Aussagen über kausale Faktoren zu machen. Ähnliches gilt für PISA – durch die abwechselnde Schwerpunktsetzung ist hier allerdings nur alle neun Jahre eine längsschnittliche Analyse erlaubt.
